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Klischees und Mythen über BDSM – Schluss damit!

Unsere kinky Welt ist für Außenstehende ein Buch mit sieben Siegeln. Manche Begriffe sind jedem geläufig, andere verursachen große Fragezeichen. Die Außenwirkung der Szene kann ganz unterschiedlich sein. Optisch sind einige BDSM-Praktiken aufregend, provokant, düster, pervers, brutal, gefährlich und respekteinflößend. Andere Kinks wiederum finden in der Gesellschaft gar keine Beachtung. Oder sie werden nicht sofort mit BDSM assoziiert. Doch das Auge stürzt sich immer als erstes auf die größte Sensation. Und das bleiben nun einmal die Extreme. Eine Brutstätte für Klischees.

Obwohl BDSM erfreulicherweise mehr und mehr an Akzeptanz gewinnt, blickt selten ein Vanilla hinter die lederne Fassade. Warum auch? Wer selbst keine Berührungspunkte mit BDSM hat, wird sich nicht damit beschäftigen und informieren. Auch in den Medien ist BDSM wenig oder aber zweifelhaft präsent. Das schafft leider viel Raum für Klischees. Wir möchten uns den gängigsten SM-Mythen widmen und damit aufräumen.

BDSM bedeutet, auf Schmerzen zu stehen

Eines dieser BDSM-Klischees, das gar nicht so unverständlich ist. Richtig, bei den bekanntesten SM-Praktiken geht es oft um Schmerzen, Schlagen und Fesseln. Gerade weil Schmerz und Lust für die meisten Menschen eben nicht zusammengehören, werden diese Kinks von außen besonders stark wahrgenommen.

Praktiken, die ohne Impact, Dynamik und Leid auskommen rücken einfach weniger in den Fokus.


Schmerzlose Kinks sind oft leiser und weniger eindrucksvoll für Vanillas.


Wenn jemand auf Orgasmuskontrolle steht erregt das einfach weniger Aufsehen, als Ballbusting und Peitschenhiebe. Bei den schmerzvollen Praktiken werden BDSM Neigungen optisch viel greifbarer. Deswegen scheinen sie repräsentativ.

Natürlich ist dieses Klischee ein Mythos. BDSM muss nichts mit Schmerzen zu tun haben und nicht jede:r Kinkster ist ein:e Masochist:in oder Sadist:in. Es gibt Fetische und Praktiken, bei denen Schmerz gar keine Rolle spielt. Zumal Machtaustausch auch ganz ohne körperliches Leid zustande kommen kann. Schmerz kann ein Teil von BDSM sein, ist aber keine Voraussetzung.

Devote Männer in Führungspositionen – das Alphatier-Klischee

Dieses genderspezifische Klischee kennt bestimmt jeder: Vor allem erfolgreiche Männer, die beruflich eine Machtposition innehaben, lassen sich im Bett gerne dominieren. Da haben wir sofort das Bild vom Big Boss aus der Chefetage im Kopf, der es genießt vor seiner Herrin zu kriechen. Statt die Zügel in der Hand zu halten, lässt er sich hier an die Leine legen. Und es ist ja auch total verständlich, dass ihm das gefällt. Das braucht er einfach als Ausgleich zu seinem Job, so der Mythos.

Fakt ist: Jeder Mensch kann völlig unabhängig von seinem gesellschaftichen Status devote Neigungen haben. Es gibt Subs, auch cis-männliche, aus allen beruflichen Schichten. Warum ist dann dies eins der gängigsten Klischees?

Vielleicht, weil es so leicht verständlich ist. Man versucht eine Ursache für eine andersartige Neigung zu finden. Eine Erklärung, warum eine Person Lust daran empfindet, erniedrigt zu werden.


Es einfach als natürliche sexuelle Vorliebe zu verstehen, die keiner Rechtfertigung bedarf, ist schwieriger.


Das Alphatier-Klischee ist plausibel, deswegen hält es sich. Zudem wird auch in den Medien immer wieder darauf zurückgegriffen. So wird dieses Stigma gefüttert.

Das Klischee von der toxischen BDSM-Beziehung

Das Bild von einer gesunden Partnerschaft beruht auf Liebe, Kommunikation, Rücksichtnahme und Gleichberechtigung. Eine Beziehung mit Machtgefälle, in der eine:r den Ton angibt und eine andere Person gehorcht, klingt für viele ungesund. Fügen wir dann auch noch eine Prise Schmerz und Erniedrigung im Schlafzimmer hinzu, schrillen doch die Alarmglocken. Eine BDSM-Partnerschaft ist doch absolut toxisch. Oder?

Schauen wir uns eine beispielhafte Dom/Sub-Beziehung an, um zu verstehen worin sich dieses Klischee begründet. Von außen sehen wir eine:n Top, der/die Sub übergeordnet ist und autoritär wirkt. Er oder sie entscheidet zum Beispiel über die Wahl der Kleidung oder des Essen im Restaurant. Sub wirkt hingegen gehorsam, fragt um Erlaubnis, wirkt vielleicht dadurch eingeschüchtert. Von Gleichberechtigung keine Spur. Alles wirkt koordiniert und kühl.


Was Außenstehende jedoch nicht sehen: Zu einer BDSM-Beziehung gehören extrem viel Kommunikation, Einfühlungsvermögen und Verantwortung.


Meist finden aber gerade diese Aspekte hinter verschlossen Türen und in einem intimen Rahmen statt. Oberflächlich ist nicht zu sehen, wie viel Sicherheit und Entspannung der oder die Sub durch die Abgabe der Kontrolle genießt. Oder wie aufmerksam und bedürfnisorientiert der oder die Dom die Entscheidungen trifft.

Genauso wie eine augenscheinlich perfekte Partnerschaft in Wahrheit schon längst zerrüttet sein kann, so kann ein Dom/Sub-Verhältnis voller Verständnis und Liebe sein. Denn gerade diese Entscheidungen und die durchgeführten Praktiken zu Hause im Schlafzimmer passieren genau so aus Liebe und Zuneigung, wie sich gegenseitig das Abendessen zu kochen. Auch wenn das vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennbar ist.

Obwohl wir die obigen Aussagen also als Klischee betrachten, möchten wir ein gewisses toxisches Risiko für BDSM-Beziehungen nicht außer Acht lassen. Mehr dazu findet ihr in unserer Serie über Red Flags und dem 10-Punkte-Check.

Ursache Kindheitstrauma – eines unserer schwierigsten Klischees

Der wohl umstrittenste und unangenehmste BDSM-Mythos. Auch auf die Gefahr hin, sicher nicht alle Facetten und Möglichkeiten zu diesem Thema aufgreifen zu können, wollen wir es dennoch beleuchten: Das Klischee, dass irgendetwas in der Kindheit falsch gelaufen sein muss, damit eine Person überhaupt eine BDSM-Neigung entwickelt.

Wieder geht es bei diesem Mythos darum, eine Erklärung zu finden. Es wird nicht selten mit Begriffen wie Borderline, Vaterkomplex und Narzissmus um sich geschmissen. Leider einhergehend mit einer sehr negativen Konnotation.


Denn die Annahme BDSMler:innen hätten eine traumatische Kindheit gehabt oder leiden gar unter einer Persönlichkeitsstörung bedeutet nichts anderes als: Wer BDSM macht ist krank. Und diese Aussage ist nicht zur zutiefst diskriminierend, sondern einfach schlichtweg falsch.


Denn weder in älteren, noch in aktuellen Studien wurde Evidenz gefunden, dass klinische Störungsbilder wie Depressionen, Angststörungen und Zwangsstörungen oder andere Pathologien unter Personen, welche Interesse an BDSM zeigen, öfter vorkommen als in der Gesamtpopulation (zum Beispiel Connolly, 2006 oder Brown et. al 2020).

Eine mögliche Ursache für solche unschönen Klischees konnte folgende sein: Menschen, die tatsächlich unter einer Persönlichkeitsstörung leiden können aufgrund dessen durchaus BDSM-Neigungen entwickeln. Beispielsweise ist selbstverletzendes Verhalten für Borderliner:innen nicht untypisch. BDSM-Praktiken könnten hier als Ventil missbraucht werden. Genauso wird für Narzisst:innen die Dom-Rolle auf den ersten Blick wie zugeschnitten wirken. Gerade solche Persönlichkeiten rücken schnell in den Fokus und bieten leider die Grundlage für unverhältnismäßige Verallgemeinerungen.

Auf keinen Fall darf man hier den Umkehrschluss ziehen: Ja, es gibt eine gewisse Schnittmenge von Menschen mit traumatischer Vorgeschichte und psychischen Erkrankungen, die BDSM praktizieren. Aber das heißt nicht, dass jede:r BDSMler:in Erfahrungen damit hat.

Männer sind immer dominant und Frauen devot

Ein weiteres genderspezifisches Klischee über heterosexuelle Menschen. Fakt ist aber: BDSM ist keine reine Cis- und Hetero-Geschichte, sondern kommt bei jeder sexuellen Orientierung bei allen binären und nicht-binären Geschlechtsidentitäten in unterschiedlichsten Ausprägungen und Intensitäten vor. Schauen wir uns dennoch kurz an, was hinter dieser Annahme, bezogen auf heterosexuelle cis Menschen, steckt.

Dass die Gesellschaft diese Vorstellung annimmt, liegt vermutlich an kulturellen und sozialen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Frauen sind in diesem Klischee nur in einer Situation dominant, nämlich wenn sie dafür bezahlt werden. Als Domina eben.

Zwar ist die Datenlage zu BDSM-Neigungen sehr dünn, Zahlen aus Kanada von 2015 legen aber nahe, dass der Wunsch dominiert zu werden und selber zu dominieren, bei Männern wie Frauen fast gleich verteilt ist und dass diese Geschlechter grundsätzlich beide mehr zu submissiven Fantasien neigen. Andere Umfragen im Zeitraum von 2013 bis 2017 ergaben, dass bis zu drei Viertel der Frauen sich selbst als submissiv verstehen.

Da BDSM kein trennscharfer Begriff ist, fallen die Ergebnisse immer wieder sehr unterschiedlich aus und sind daher schwer vergleichbar. Was ist Fantasie, was Selbstverständnis, was die Realität? Und wo bleiben eigentlich die Switcher?