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Sadismus: Das zweite S in BDSM

Was ist Sadismus?

Direkt neben dem M für Masochismus steht das S im Akronym BDSM einerseits für Submission, andererseits für den Begriff Sadismus. Der Ausdruck steht dafür Befriedigung zu erleben, indem man anderen Menschen weh tut. Der Lustgewinn kann neben dem Zufügen körperlicher Schmerzen auch durch Demütigung, Unterdrückung und dem Hervorrufen von Angst entstehen.

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Erstmals verwendete der deutsche Psychiater und Gerichtsmediziner Richard von Krafft-Ebing den Begriff “Sadismus” 1866. Er benannte ihn nach dem Donatien Alphonse François Marquis de Sade, in dessen pornografischen Werken auch Gewaltfantasien eine Rolle spielten.

Eng verwandt ist der Begriff Masochismus, benannt nach dem Schriftsteller Leopold von Sacher-Masoch (1836–1895). Dieser Begriff beschreibt das Gegenteil, also die sexuelle Lust, Schmerz zu empfangen. Da Sadismus und Masochismus im BDSM-Bereich eng miteinander verknüpft sind, prägte sich die Bezeichnung des “Sadomasochismus“. Unter dieser werden im allgemeinen Sprachgebrauch alle Sexualpraktiken zusammengefasst, die von der gesellschaftlich akzeptierten Norm abweichen und mit der Kombination aus Lustgewinn und Schmerz verbunden sind.


Nicht im Genuss besteht das Glück, sondern im Zerbrechen der Schranken, die man gegen das Verlangen errichtet hat.

Marquis de Sade

Lange wurden sadomasochistische Vorlieben, selbst wenn sie einvernehmlich stattfanden, als psychische Störungen, als Perversion klassifiziert. Erst mit der Herausgabe der fünften Auflage des “Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders”(2013) änderte sich dies. In dieser neuen überarbeiteten Fassung des weltweit führenden Leitfaden für psychatrische Diagnostik wurde Sadomasochismus als Paraphilie entfernt.

Die Bezeichnung Sadist:in wird im allgemeinen Sprachgebrauch nicht ausschließliche im sexuellen Sinne verwendet. Auch Menschen, die Freude aus dem Leid anderer schöpfen, bezeichnet man so.

Wie entsteht Sadismus?

Über die Suche nach dem Ursprung sadistischer Neigungen gibt es etliche Theorien. Ein beliebter psychoanalytischer Ansatz ist beispielsweise ein nicht ausgelebter Ödipuskonflikt. So sehen der Psychoanalytiker Nikolaus Becker und Psychiater Eberhart Schorsch Sadismus als Folge einer gestörten Persönlichkeitsentwicklung (“Angst, Lust, Zerstörung: Sadismus als soziales und kriminelles Handeln.” 1977).

Ein anderer Ansatz wäre die Kompensation unangenehmer Ereignisse durch deren Sexualisierung (Robert Stoller). Sex ist gegenüber Schmerz etwas positives. Man mache somit die Not zur Tugend und behaftet negativ Erlebtes fortan mit etwas Schönem.

Diese und viele weitere psychoanlytische Modelle sind jedoch nicht wissentschaftlich überprüfbar. Außerdem gibt es hierzu große Kritik, denn sicher hat nicht jeder Sadist oder jede Sadistin eine Entwicklungsstörung. Es gibt Sadist:innen mit einer glücklichen Kindheit. Solche, die Ihre Neigungen ganz intrinsisch, ohne negative Vorbelastung entdecken.

Ein weiterer Ansatz ist die Konditionierung nach Pawlow. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die sexuelle Erregung durch Leid antrainiert werden kann. Beispielsweise durch immer wiederkehrende sadistische Fantasien beim Masturbieren. Die Konditionierung wird dann durch Wiederholen verstärkt. Diese Theorie setzt jedoch ein gewisses spontanes Schlüsselerlebnis voraus und wird deswegen kritisiert.

Die Wissenschaft ist auf diesem Gebiet also sicherlich noch nicht zu einem konkreten Ergebnis gekommen. Fakt ist: So gut wie jeder Mensch hat sexuelle Gewaltfantasien. Das ist noch lange kein Grund zur Besorgnis.

Verschiedene Arten

Nichtsexueller oder psychischer Sadismus

Obwohl diese Ausprägung meist einen sexuellen Ursprung hat, äußert sich diese Art von Sadismus nicht sexuell. Vielmehr werden andere, vornehmlich untergeordnete Personen schikaniert. Der psychische Sadist quält und demütigt andere, jedoch nicht innerhalb seines Sexualverhaltens. Laut dem Psychoanalytiker Erich Fromm geht es hierbei vor allem darum Allmachtsfantasien auszuüben. Das Bedürfnis, Macht auf ein anderes Wesen zu haben, verfolgt kein praktisches Ziel. Es geht allein um das gewaltsame Beherrschen.

Konjunktions- oder sexueller Sadismus

Hier geht es um das Bedürfnis, jemandem während des Geschlechtsverkehrs Schmerzen zuzufügen. Die sexuelle Erregung und Steigerung der Lust entsteht durch die Unterdrückung, die körperliche oder psychische Demütigung des Gegenübers. Sadistische Handlungen stellen dabei oft ein Vorspiel dar oder werden während dem Sex praktiziert.

Kompensations-Sadismus

Bei dieser Form des Sadismus ersetzt das Zufügen physischer oder physischer Schmerzen den Geschlechtsverkehr. Die sadistischen Vorlieben sind nicht mehr Teil der sexuellen Befriedigung oder intensivieren die Lust, sondern ersetzen den Akt.

Ausleben von Sadismus im BDSM

Lust und Leiden – das geht für die viele Menschen nicht zusammen. Aber nicht für alle. Wie fast jede sexuelle Andersartigkeit kann Sadismus im BDSM ausgelebt werden. Besonders bei dominanten Personen ist diese Neigung verbreitet. Im Zusammenspiel mit einer masochistischen Partnerperson können dabei beide auf ihre Kosten kommen.

Es gibt verschiedene Praktiken, bei denen man sadistische Vorlieben ausleben kann. Impact Play, Breathplay und Spanking sind nur einige Beispiele.

Worauf muss man achten?

Bevor sadistische Handlung an einer anderen Person ausgeübt werden, sollte man einiges beachten. Wir gehen innerhalb einer BDSM-Szene selbstverständlich nicht nur von der Einwilligung des Gegenübers aus. Sondern auch davon, dass die Situation allen SSC-Anforderungen entspricht. Es sollte klar vereinbart sein, welche sadistischen Praktiken beide wünschen und wo die Grenzen liegen. Hierbei hilft ein Ampelsystem und unbedingt ein Safeword.

Ein:e verantwortungsvolle:r Sadist:in kennt sich nicht nur mit den Utensilien, die benutzt werden, aus. Er oder sie besitzt auch eine gewisse Kenntnis über den menschlichen Körper. Wo und wann führen Schmerzen zu Verletzungen oder können sogar lebensbedrohlich werden? Einvernehmlicher Sadismus im Rahmen von BDSM muss immer kontrolliert und sicher stattfinden. Denn hier liegt der entscheidende Unterschied zu Gewalt und Grausamkeit.


“Schlage mich”, sagte der Masochist. “Nein”, sagte der Sadist.

Unbekannt.

Das ideale Gegenstück für eine:n Sadist:in ist ein:e Masochist:in. Aber auch andere devote Rollen können Gefallen an bestimmten sadistischen Handlungen, beispielsweise Demütigung finden. Andersherum gilt Vorsicht: Nicht jede:r Bottom ist masochistisch! Und: Nicht jede:r Masochistin genießt die gleiche Art von Schmerz. Daher ist hier wie oben beschrieben gute Kommunikation das A und O.

Außerdem ist nach sadistischen Praktiken eine ausgiebige Aftercare unerlässlich. Nicht nur für die Person, die Qualen empfangen hat. Auch für den oder die Sadist:in selbst ist Aftercare wichtig, um wieder in die Realität zurückzufinden. Oft geht das Quälen eines anderen Menschen mit anschließenden Gewissensbissen und Reue einher, der berühmte Dom-Drop könnte eine Folge sein. Aftercare-Szenarien sorgen dafür, dass beide Seiten sich nach einer Session aufgefangen fühlen.

Schattenseiten des Sadismus

Obwohl Sadismus grundsätzlich weder eine psychische Störung, noch eine Krankheit ist, kann diese Neigung leider außer Kontrolle geraten, in Aggression umschlagen und/oder zu schweren (Sexual-)Straftaten führen. In den schlimmsten Fällen besteht sogar Gefahr für Leib und Leben. Kann ein Mensch den Sadismus nicht mehr kontrollieren und werden die Wünsche zu extrem, um sie einvernehmlich auszuleben spricht man von Paraphilie. Als Expertin auf diesem Gebiet gilt die Autorin und Kriminalpsychologin Lydia Benecke, welche online wie offline wissenschaftliche Texte und weitere Informationen aus der Psychologie zum Thema Sadismus bereitstellt.

Wer vermutet, dass seine oder ihre sadistischen Neigungen eine Grenze überschreiten oder befürchtet, andere in Gefahr zu bringen kann und sollte sich Hilfe holen. Das SMJG-Sorgentelefon oder das Hilfetelefon für sexuellen Missbrauch sind gute gute erste Anlaufstellen und bieten sogar Präventionsberatung für Täter:innen an.