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Sexify – Weichspüler-Orgasmusdruck und Patriarchat

Nachdem uns Netflix bereits mit “Bonding” bereichert hat, eine Pseudo-BDSM-Serie über eine Domina in der Selbstfindungsphase und ihren schwulen besten Freund, erschien im Mai Sexify auf dem Streaming Service. Der Plot: eine seichte Erfolgsgeschichte, die in eingeschworener Story-Manier drei unterschiedliche Frauen in der Zusammenarbeit an einem Projekt vereint: Eine App für den weiblichen Orgasmus! Erstaunlicherweise bekommt die Serie gute Kritiken und wird in den sozialen Medien gelobt, hier also eine etwas kritischere Betrachtung.

Netflix’ “feministische” Sex Serie: Sexify 

Vorzeige-Streberin Natalia studiert Informatik in Warschau und ist eine überambitionierte Studentin. Für ihre Diplomarbeit entwickelt sie eine App mit Namen de “Sen”, um den Schlaf zu optimieren. Drei Monate vor Abgabe teilt ihr der frisch eingesprungene Professor mit, das Projekt sei zu unsexy. Obwohl es ursprünglich um ihre Diplomarbeit ging, ist da plötzlich ein landesweiter Wettbewerb, den Natalia unbedingt gewinnen will. Passgenau muss an diesem Tag die reiche Monika neben Natalia in das Studentenwohnheim ziehen. Ausgestattet mit einer Portion Vaterkomplex, einem toxischen Exfreund und Tinder, hat diese im Zimmer nebenan lautstark Sex. Das bringt Natalia auf die brilliante Idee: Von Sen zu Sex!

Nachdem zum Abrunden noch ihre beste Freundin Paulina ins Boot geholt wurde, ist die Gruppe komplett. Paulina ist einer festen monogamen Beziehung, geht aber nach dem orgasmuslosen vorehelichen Sex immer zur Beichte. Da sind sie also die sexlose Streberin, die sehnsuchtsvolle Hausfrau und die neureiche Hure – die altbekannte Dreifaltigkeit. Die drei Hauptcharaktere von Sexify beginnen ihre “Forschungsreise” zum weiblichen Orgasmus indem sie in Natalias und Paulinas Wohnheim-Zimmer, zufälligerweise das Zimmer mit der Nummer 69, das so genannte “Kopulatorium” aufbauen. Mit Hilfe der Paare, die sich hier zum Sex treffen, wollen sie ihre Formel für den Orgasmus entwickeln. Damit sendet die Serie gleich mal die Message: Nur ein Orgasmus macht Sex wertig und ohne ist es lediglich liebloses Aufeinander-Rumrutschen. Um diese furchtbare Definition zu unterstützen, macht Monika genau das, um über ihren Ex hinweg zu kommen. 

Sexify – wenig Plot, flache Gewässer

Im weiteren Verlauf begegnet uns der schmierige Antagonist in Form eines anderen Studenten im Kampf um das beste Projekt. Dieser filmt heimlich die Aktivitäten im Kopulatorium und bleibt dabei jedoch ohne juristische Konsequenzen. Genau, jemand filmt diverse Student:innen bei intimen Akten, das ganze kommt vor die Schulleitung, die die unfreiwilligen Akteure auch befragt und niemand sagt :”Hey, meine Persönlichkeitsrechte wurden verletzt.” Stattdessen sind alle böse auf die vermeintliche Wissenschaft der drei Frauen. Dadurch, dass dieses Verhalten weder kritisch betrachtet noch erwähnt wird, wird es sogar legitimiert. Nein, stattdessen darf dieser Straftäter zu der tollen Präsentation am Ende der Serie.

Dazu kommt ein Sexshop-Angestellter, der trotz frivolem Berufs nicht bei der ersten Gelegenheit Sex will. Dann noch der einfühlsame und weise, aber stagnierende und unattraktive Computer-Shop-Besitzer, der homosexuell ist. Und natürlich Monikas Cougar-Mutter, die ein Frauen-Vulva-Selbstliebe-Zentrum leitet, aber keine Verbindung zu ihrer Tochter hat.

Viel Potenzial. Vergeudet.

Bei einer Laufzeit von insgesamt fast fünf Stunden lernt man übrigens erschreckend wenig über den weiblichen Orgasmus, wie dieser zu erreichen ist oder was diesen hindern kann. Bis auf die Zeit, bei der die drei Monikas Mutter in ihrem Selbstliebe-Zentrum besuchen. Das ist übrigens die einzige Situation, in der ein anatomisches Modell einer Klitoris gezeigt wird. Und das in einer Serie, die sich Aufklärung auf die Fahne schreibt.

Monikas Mutter ist in der Serie die Einzige, die ihnen etwas über Selbstliebe, die Schönheit der Vulva und die Gedanken, die viele Frauen über diese haben, beibringt. Auch hören die drei zum ersten Mal, dass die meisten Frauen mehr erogene Zonen haben, als lediglich ihre Klitoris. Es gibt also ganze 20 Minuten Friseur-Magazin-Weisheiten über Frauen und ihre Lust. Ansonsten ist das Ganze bestenfalls ein laues Studi-Drama, mit den typischen Plot-Stolpersteinen. Denn erst auf den letzten Drücker, nämlich in der letzten Episode, wird überhaupt das Bild des Orgasmus und der weiblichen Sexualität kritisiert. Erst als die drei vor dem Komitee des Wettbewerbs stehen, das zum größten Teil aus alten weißen cis Männern besteht, wird es überhaupt gesellschaftskritisch.

Was ich lieber gesehen hätte:

Nun, man stelle sich vor, diese Serie würde tatsächlich von Frauen gemacht, denen es darum geht den weiblichen Orgasmus zu normalisieren und aufzuklären. Gerade bei einer riesigen Plattform wie Netflix, könnte man doch eigentlich so viel besser aufklären. Welche drei Frauen würden uns dann begegnen?

Wie wäre es mit einer, die Schwierigkeiten hat zum Orgasmus zu kommen, denn immerhin rund 35 Prozent aller Frauen haben damit Probleme. Eine, die sich deswegen weniger sexy fühlt, als anstrengend bezeichnet wird und sich selbst und ihre Sexualität daher in Frage stellt, die daher vielleicht sogar den Orgasmus vortäuscht um nicht zu verletzen oder verletzt zu werden?

Wie wäre als Gegenstück dazu eine Frau, die keine Probleme hat, zum Orgasmus zu kommen, die vielleicht sogar zu schnell kommt und deswegen als Schlampe abgestempelt wird oder sexuell zu zugänglich? Die vielleicht deswegen immer in ihrer eigenen Hypersexualität gefangen ist und Grenzen überschreitet, weil sie ja sowieso kommt?

Und als dritte Protagonistin… nun die Auswahl ist groß. Vielleicht jemanden mit einem ausgeprägten Fetisch oder einer BDSM-Vorliebe, jemand aus der LGBTQ+-Community, jemand asexuelles oder ganz was anderes. Gleichgeschlechtliche Küsse gibt es übrigens in der Serie zu sehen, zwei mal sogar. Sie werden aber beide Male als betrunkenes oder Ausbruchsverhalten abgetan. Die Auswahlmöglichkeiten sind unendlich und während Sexify natürlich mainstreamfähig bleiben muss, wäre ein wenig Individualität doch angebracht gewesen.

Jede Frau kann etwas zu diesem Thema beitragen, was den oberflächlichen Abriss der Serie gehaltvoller machen würde. Frauen wird eine Scham über das eigene Geschlecht anerzogen, sie werden halbherzig aufgeklärt. Und das gilt nicht nur für den Bio-Unterricht in der Schule, in dem die Menstruation und Schwangerschaft erklärt wird, aber selten das weibliche Geschlechtsorgan und der normale Umgang mit diesem.

Sexify – unsexy Fazit

Sexify als Serie hat sich wilden Feminismus und Aufklärung auf die Fahne geschrieben, raus kam dabei meiner Meinung nach weichgekochter medienwirksamer Brei. Die Serie trägt nicht dazu bei, mehr über Geschlechter, Orgasmen oder zwischenmenschliche sexuelle Bindung aufzuklären. Selten war eine Serie auch so weit von Diversität entfernt. Die einzige Person of Color ist ein spanischer Austauschstudent, der die Landessprache nicht kennt und dessen Dialog quasi aus “Erasmus” und “Ficken?” besteht. Gleichgeschlechtliche Küsse gibt es nur aus Panik oder unter Alkohol und werden nicht aufgearbeitet.

Im Endeffekt unterstützt diese Serie genau das, was sie kritisieren wollte. Frauen müssen beim Sex zum Orgasmus kommen, sonst ist er nicht gut. Da nur heterosexueller Sex dargestellt wird, muss es natürlich durch einen Mann passieren. Jemand, der oder die viel Sex mit unterschiedlichen Menschen hat, hat schlechte Erfahrungen gemacht und versucht sich zu betäuben. Austauschstudenten sind quasi nur zum Vögeln unterwegs und Männer, die nicht direkt Sex wollen, sind eine absurde Sache. Sehr offensichtlich spricht hier das weiße Patriarchat, das sich schlichtweg nicht für weibliche Lust interessiert, außer um ihr eigenes Können zu validieren. Der weibliche Orgasmus als Approved-Stempel quasi. Es ist also eine weitere Serie, die in die immer selben gesellschaftlich vertieften Kerben schlägt, in der Hoffnung den weiblichen Entdeckungsdrang zu zerschlagen.

Ein viel schöneres Beispiel hingegen ist die Serie Sex Education ebenfalls auf Netflix, welche das Thema Aufklärung und Sexualtherapie deutlich mehr an den Hörnern greift. Sexify kann getrost daneben verstauben.