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Folsom Street Fair: Von Leatherman zu Pride.

Folsom Street Fair – was ist das eigentlich?

Die Folsom Street Fair ist eine Open-Air-Veranstaltung, die jährlich am letzten Sonntag im September die Leather Pride Week in San Francisco, Kalifornien abschließt. Das Straßenfest stellt den jährlichen Höhepunkt der US-amerikanischen Leder- und Fetisch-Szene dar. Die meistens einfach als Folsom bezeichnete Veranstaltung wird seit 1984 durchgeführt und ist das weltweit größte Fest der Lederszene sowie die größte Messe für BDSM-Ausstattungen und -Kultur weltweit. Sie ist also eine Art Christopher Street Day für BDSM. Eine ähnliche Veranstaltung, die Folsom Europe, findet seit 2004 in Berlin statt.

Der Vorgänger der Folsom Street Fair war der CMC Carnival, kurz für “California Motorcycle Club Carnival”. Das war eine Art Kirmes mit Musik und Verkaufsständen. Der CMC fand rund 20 Jahre lang immer am zweiten Sonntag im November statt, an wechselnden Orten, meist in großen Hallen in der Nähe des Hafens.

Jährlich verzeichnet die Folsom in San Francisco rund 400.000 Besucher:innen, unter ihnen hauptsächlich homosexuelle Anhänger:innen der BDSM-Szene oder Lederfans aus der ganzen Welt. Doch auch bei Menschen, die nicht homosexuell oder Anhänger:innen von BDSM sind, erfreut sich die Veranstaltung wachsender Beliebtheit. Seit 1994 heißt die Veranstaltung daher auch nicht mehr “Gay Freedom”, sondern “San Francisco Pride-Parade”.

Sämtliche Einnahmen werden an wohltätige Einrichtungen gespendet, beispielsweise die Aids-Hilfe.

Matrosen, Motorräder und Leder

San Francisco war schon früh eine gegenüber Homosexualität aufgeschlossen Stadt, in der sich die Lederkultur entwickelte. Alles begann wohl mit der “Sailor Boy Tavern“, einer für Soldaten der US Navy Bar, die 1938 eröffnete und nahe des YMCA gelegen war. Hier trafen sich bald Soldaten und junge Männer, die nach gleich-geschlechtlichen sexuellen Begegnungen suchten. 1945, als der zweite Weltkrieg endete, wurden tausende schwule Soldaten aus dem Dienst entlassen. Viele von ihnen ließen sich in den großen Hafenstädten der Vereinigten Staaten nieder, besonders viele aus oben genannten Gründen in San Francisco. Hier beginnt die Entwicklung der modernen schwulen Lederszene.

Vorbilder und Prägung

1953 erschien der Film The Wild One mit Marlon Brando in der Hauptrolle. Inspiriert durch Brandos Rolle als Motorradfahrer mit schwarzen Handschuhen, Lederjacke, Ledermütze und derben Stiefeln begannen Anhänger der Gay-Szene den Look zu imitieren. Die “Leathermen” sind geboren.

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In den 1950er Jahren erscheint die Zeitschrift “Bizarre” und macht erstmals auch Menschen außerhalb der Szene mit Fetischen vertraut. Seit Mitte der 1960er Jahre entwickelte sich die Folsom Street in San Francisco zum Zentrum für männliche Lederanhänger. Auch dank der vielen Bars mit genau diesem Zielpublikum.

So war beispielsweis die “Tool-Box” die erste offizielle schwule Lederbar. Sie eröffnete 1961 und wurde durch einen Artikel im Life-Magazin im Juni 1964 weltberühmt. Bei dem Artikel ging es um “Homosexualität in Amerika” – für das Jahr 1964 geradezu skandalös. Denn dieser Artikel war auch das erste Mal, dass in einer nationalen Publikation über Schulenthemen berichtet wurde. Der Fotograf Hal Call ging in die Tool Box, um in seiner Fotografie für den Artikel des Life-Magazin das Klischee zu beenden, homosexuelle Männer wären “weibisch”. Und er machte einen großartigen Job. Der Artikel zeigte als Aufhänger ein doppelseitiges Wandgemälde mit Männern in Lederkleidung an einer Bar, gemalt von Chuck Arnett.

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In dem Artikel nannte man San Francisco “die schwule Hauptstadt Amerikas” und inspirierte dadurch viele schwule Leathermen, dorthin zu ziehen. 

Warum denn Motorräder?

Was haben denn jetzt Motorräder mit der Leathermen-Szene zu tun? Wie bereits erwähnt prägte der Film “The Wild One” dutzende homosexuelle Männer bezüglich Stil und Ausdruck. Auch wenn wir uns wünschen würden, dass innerhalb der BDSM-, Leder- und LBGTQ+-Community immer alles Friede, Freude, Eierkuchen wäre – auch innerhalb der Szene wurde ausgegrenzt und unterschiedlich bewertet.

Der erste “schwule Motorradclub” waren die “Satyrs”, gegründet 1954 in Los Angeles, also nur ein Jahr nachdem Brando den Lederlook prägte. In San Francisco waren die Warlocks und der California Motorcycle Club, beide 1960 gegründet, die ersten bekennenden Leathermen in einer Verbandstruktur.

Mitte der 60er wurde San Francisco dann das Zentrum schlechthin für die homosexuelle Motorradclub-Szene. Einige der Leathermen aus eben jenen Clubs sind der Meinung, wer keine Harley fährt, oder nicht zumindest ein Motorrad, der will sich lediglich wichtig machen und sei kein richtiger “Ledermensch”. Zur selben Zeit entwickelt sich auch in der lesbischen Szene eine Gruppe, die wir bis heute als “Dykes on Bikes” kennen.

1979 führte der damals neu gegründete lesbische Motorradclub Dykes on Bikes zum ersten Mal die San Francisco Gay Freedom Day Parade an. Die Veranstaltung ist ein relevanter Faktor in der Entwicklung der uns heute bekannten LBGTQ+-Szene, da sie zu diesem Zeitpunkt die erste Parade für homosexuelle Menschen unabhängig ihres Geschlechtes war. Ein Jahr zuvor entwarf Gilbert Baker die Regenbogenflagge, welche bis heute eines der wichtigsten Symbole der queeren Bewegung ist.

Die Regenbogenfahne nach Gilbert Baker von 1978.

Folsom Street Fair

Hintergrund der ersten, meist lediglich als “Folsom” bezeichneten Großveranstaltung 1984 war das geplante Sanierungsprogramm der Stadt für das Areal um den South of Market. Die Lagerhaus und Industrieviertel sollten durch Hochhäuser ersetzt werden, um die Stadt zu beleben. Die Ledergemeinde setzte sich aktiv gegen diese Pläne ein.

Als sich die Aids-Epidemie in den 1980er Jahren ausbreitete und man noch wenig über die Erkrankung wusste, wurden Badehäuser, Bars und andere Locations, in denen die schwule Community ihr Zuhause fand, geschlossen oder streng reguliert. Ein Zusammenschluss verschiedener Aktivist:innen, Gemeindeorganisationen und Clubs begann, ein Straßenfest zu planen. Ziel war es, die Sichtbarkeit der Community zu stärken und finanzielle Mittel für Informationen und Aufklärungskampagnen über Aids und Safer Sex aufzutreiben. So wurde ausgerechnet die Aids-Pandemie der 80er und 90er Jahre zu einem wichtigen Meilenstein in der Entwicklung einer gemeinsamen queeren Community.

Folsom Europe

Seit 2004 findet im Berliner Stadtteil Schöneberg jeweils am zweiten Septemberwochenende der europäische Ableger der Folsom statt. Bis heute gilt die Folsom Europe als erstes und wichtigstes Straßenfest der Leder- und Fetischszene in Europa.

Sowohl der Berliner Tourismusverband als auch Klaus Wowereit unterstützten die Veranstaltung. Im zweiten Jahr hielt Wowereit gar die Eröffnungsrede. Ein gefundenes Fressen für Unionspolitiker:innen, die dem damaligen Bürgermeister ein Jahr darauf vorwarfen, für sein Amt untragbar zu sein. Hintergrund waren Flugblätter, die in schillernden Worten beschrieben, Wowereit würde “rassistische Vergewaltigungspornographie” als “pure Lebensfreude” verkaufen. Laut CDU sei das alles “mit der Würde des hohen Amtes nicht vereinbar”.

Wie sieht es auf der Folsom aus?

Das Besondere und somit auch Erfolgskonzept der Folsom ist, dass es eine der wenigen Möglichkeiten ist, BDSM-Aktivitäten öffentlich aufzuführen und zu präsentieren beziehungsweise zu sehen. Gleichzeitig ist dies natürlich auch einer der schärfsten Kritikpunkte an der Folsom Street Fair.

Hier wird unter anderem öffentlich ausgepeitscht, geklammert oder CBT vorgeführt. Viele der Teilnehmer:innen genießen es, die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu haben und ihre Fähigkeiten öffentlich zu demonstrieren.

Die Leather Pride Flag steht für Lack, Leder, Kink und BDSM.
Die Leather-Pride-Flag wurden von dem Künstler Tony DeBlase entworfen und ist bis heute das Symbol der BDSM-Bewegung.

Wie es mit Skandalen oder ungewöhnlichen Dingen üblich ist, ziehen die Vorführungen und die wiederkehrenden Diskussionen darüber eine große Anzahl von Schaulustigen an. Hunderte von Video- und Fotografen gieren darauf, die teils grenzwertigen Kleidungen oder Aktivitäten einzufangen. Während die einen Besucher:innen die Veranstaltung als Fenster in eine andere Welt, augenöffnend oder horizonterweiternd empfinden, ist das Event aufgrund der expliziten Darstellungen auch oft Ziel von Anti-Schwulen-Organisationen. 

Die Plakatdiskussion 2007 

Am 30.09.2007 fand die 24. Folsom Street Fair statt. Das Werbeposter für dieses Event war ein Artwork-Foto, auf dem sich bekennede und bekannte Mitlgieder der LGBTQ+ und BDSM-Gemeinde in Fetischkleidung in Szene setzten. Klingt erstmal ziemlich harmlos und cool, nicht wahr? Das “Problem” für Kritiker war, dass es das berühmte Gemälde “Das letzte Abendmahl” von Leonardo da Vinci neu interpretierte. Es stellte also Menschen aus der Community in Fetischkleidung an einem von Jesus und seinen Jüngern inspirierten Tisch, der mit einer BDSM-Flagge als Tischtuch bedeckt und mit Peitschen, Plugs und Fesseln dekoriert worden war, dar. Konservative religiöse Gruppen waren entsetzt, nannten das Bild blasphemisch und die Folsom-Gemeinschaft antichristlich.

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Das offizielle Poster für die Folsom Street Fair 2007.

Medien verwiesen auf zahlreiche andere Parodien, die mehr als Hommage betrachtet worden waren, wie beispielweise bei den Simpsons, Renée Cox’ “Yo Mamas letztes Abdenmahl” oder auch die Boston Red Sox oder Robert Altman im Film Mash.

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Eine Parodie des letzten Abendmahls bei den Simpsons.

In einer Pressemitteilung wurde zum Ausdruck gebracht, dass man damit einfach Kunst zeigen wolle, ohne tiefere Spekulationen von Bedeutung.

“Es ist nicht beabsichtigt, mit diesem Poster besonders pro- oder antireligiös zu sein. Das Bild beabsichtigt nur an das Gemälde ‘Das letzte Abendmahl’ erinnern. Es ist eine unverwechselbare Darstellung der Vielfalt mit Frauen und Männern, Menschen aller Hautfarben und sexueller Orientierung”

Andy Copper, Vorstandsvorsitzender von Folsom Street Events

Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten, die San Francisco vertritt und auch römisch-katholisch ist, wurde von Reportern im Rahmen einer Pressekonferenz zu dem Postermotiv befragt. Sie antwortete:

“Es ist eine so globale Frage, wie man sie stellen könnte … Ich glaube fest an den ersten Verfassungszusatz. Ich glaube nicht, dass dem Christentum durch die Folsom Street Fair geschadet wurde.” 

Nancy Pelosi 2007

Neugierig geworden?

Wenn euch dieser Artikel lang vorkam, seid euch versichert, ich habe Stunden gebraucht, Informationen zu sammeln, zu kürzen, um einen ersten Blick auf die beeindruckende Szene und Geschichte der Folsom Street Fair und den Leathermen zu werfen. Doch es ist ein Bruchteil der wirklich faszinierenden Geschichte. Wenn ihr mehr wissen wollt, haben wir euch einige Links zur Vertiefung der Thematik aufgeführt.

Auch einen Blick wert ist das Instagram-Profil von @folsomeurope, wo unter anderem alle wichtigen Daten und Updates über das Berliner Event zu finden sind.